Ich geb’s zu & der eine oder andere von euch wird es schon gemerkt haben: Ich bin ein Theater-Junkie. Für mich gibt es kaum etwas Magischeres als diesen Moment, wenn das Licht im Saal langsam erlischt, der Vorhang sich hebt und man gemeinsam mit hunderten anderen Menschen bestenfalls ein Bühnen-Spektakel erlebt. Dieses Knistern in der Luft, das gemeinsame Lachen, die spürbare Stille – das ist live, das ist echt.
Und dann kam Corona, und mit der Pandemie das Streaming. Plötzlich saß ich nicht mehr im Parkett, sondern auf meinem Sofa, und die große Bühne war mein Laptop-Bildschirm.
Das Spannende daran ist, dass hier eine völlig neue Angebotsvielfalt entstanden ist. Wenn man heute die verschiedenen Video Streaming Dienste im Vergleich betrachtet, sieht man eine klare Trennung: Auf der einen Seite stehen die uns allen bekannten Giganten für Serien und Filme wie Netflix & Co. Und auf der anderen Seite gibt es plötzlich ganz neue Anbieter – nämlich die Theater selbst, die ihre Inszenierungen über eigene Mediatheken oder spezielle Kultur-Plattformen streamen. Diese Entwicklung spaltet seitdem die Gemüter: Ist das der Untergang des echten Theaters oder die beste Idee seit der Erfindung des Souffleurkastens? Ich habe da so meine ganz persönlichen Gedanken zu.
Die helle Seite des Bildschirms: Warum ich Streaming oft feiere
Anfangs war ich skeptisch, aber mittlerweile sehe ich so viele geniale Vorteile, dass ich aus dem Schwärmen kaum herauskomme.
1. Theater für alle, wirklich für alle!
Das ist für mich der größte Pluspunkt. Ich denke an meine Freundin, die aufs Land gezogen ist und es nur noch selten in die Großstadt schafft. Ich denke an meine Oma, die nicht mehr stundenlang sitzen kann. Oder an all die Leute, die sich ein teures Ticket einfach nicht leisten können. Streaming reißt diese Mauern ein. Plötzlich kann jeder die gefeierte Inszenierung vom anderen Ende Deutschlands sehen. Das ist doch zutiefst demokratisch und einfach wunderbar!
2. Eine Liebeserklärung, die um die Welt geht
Ich wünsche den Theatern, die ich liebe, dass sie überleben und wachsen. Streaming gibt ihnen die Chance dazu! Stellt euch vor: Eine kleine, mutige Bühne aus Berlin kann plötzlich Fans in New York oder Tokio gewinnen. Das schafft nicht nur dringend benötigte Einnahmen durch digitale Tickets, sondern baut eine globale Community auf. Wie cool ist das denn? Wenn man sich online mit Menschen aus aller Welt über ein Stück austauschen kann, das man gerade gleichzeitig gesehen hat?
3. Eine völlig neue Art des Sehens
Und hier wird es für mich als Fan richtig aufregend: Ein guter Stream ist keine langweilige Aufzeichnung. Er ist eine eigene Kunstform. Die Kamera kann so nah an die Gesichter der Schauspieler heranfahren, dass ich jede winzige Regung, jede Träne sehe, die mir aus der zehnten Reihe entgangen wäre. Manche Projekte experimentieren mit interaktiven Chats oder bieten Einblicke hinter die Kulissen, die man sonst nie bekommen würde. Das ersetzt nicht den Live-Abend, aber es schenkt mir eine völlig neue Perspektive.
Aber mal ehrlich: Wo bleibt die Magie?
Trotz aller Begeisterung gibt es Abende, an denen ich frustriert den Laptop zuklappe. Denn die digitale Bühne hat auch ihre Schattenseiten, die mich nachdenklich machen.
1. Die Technik- und Gerechtigkeitsfalle
Ein professioneller Stream kostet Geld. Richtig viel Geld. Man braucht teure Kameras, gute Mikrofone und ein Team, das sein Handwerk versteht. Meine Sorge ist: Das können sich die großen, staatlich geförderten Häuser leisten. Aber was ist mit den kleinen, freien Theatern, die oft die spannendsten Experimente wagen? Ich habe Angst, dass hier eine digitale Kluft entsteht und die Vielfalt auf der Strecke bleibt.
2. Das einsame Sofa-Gefühl
Das ist der emotionalste Punkt für mich. Nichts, aber auch gar nichts, kann das Gefühl ersetzen, in einem vollen Saal zu sitzen. Dieses gemeinsame Atemanhalten bei einer spannenden Szene. Das Lachen, das durch den Raum rollt und alle ansteckt. Die Energie, die von der Bühne ins Publikum und wieder zurückfließt.
Allein auf dem Sofa, mit der Chipstüte in der Hand, fühlt es sich manchmal einfach nur nach passivem Konsum an. Wie fängt man diese lebendige, einzigartige Atmosphäre digital ein? Ich habe noch keine perfekte Antwort darauf gefunden.
Übrigens: Wenn ihr noch Tipps für den perfekten Theater-Besuch sucht, habe ich euch in einem anderen Blog-Artikel meine Empfehlungen zusammengetragen.
3. Das liebe Geld und die Fairness
Und dann ist da noch der ganze langweilige, aber wichtige Kram: die Rechte. Für jeden Stream müssen Verträge neu verhandelt werden. Wie stellt man sicher, dass alle Künstler – von den Schauspielern bis zu den Technikern – fair für ihre digitale Arbeit bezahlt werden? Es braucht nachhaltige Modelle, damit sich das Ganze nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Macher lohnt.
Mein Fazit: Kein Entweder-Oder, sondern ein wundervolles Sowohl-als-auch
Nach all dem Hin und Her bin ich zu einem klaren Schluss gekommen: Streaming ist keine Konkurrenz zum Live-Theater. Es ist eine Ergänzung und eine fantastische Erweiterung, die unsere geliebte Kunstform zugänglicher und internationaler machen kann.
Ich werde immer den Weg ins Theater antreten, solange ich kann. Ich will den Staub auf der Bühne riechen und den Applaus spüren. Aber an den Abenden, an denen das nicht geht, bin ich unendlich dankbar für die Möglichkeit, mir die Bühne einfach nach Hause zu holen. Die Zukunft des Theaters ist für mich hybrid. Und das ist eine ziemlich aufregende Aussicht.
Probiert es doch mal aus! Schaut euch beispielsweise die Angebote vom Maxim Gorki Theater oder dem National Theatre an. Vielleicht entdeckt ihr ja eure ganz eigene Theaterliebe im Stream.